Basler Mitte: «Solche Gedankenspiele kann man durchaus machen»
Basel 10.11.2024 - 08:23
Das Präsidium der Mitte Basel lässt es offen, ob ihre Partei an der bürgerlichen Allianz festhält. Eine engere Zusammenarbeit mit der GLP sei «sinnvoll».
Das Wichtigste in Kürze
- In zwei Wochen steht der zweite Wahlgang der Basler Regierungsratswahl an.
- Davor stellt sich die Frage, ob die bürgerliche Allianz weiterhin zusammenhält.
- Ein Gespräch mit Franz-Xaver Leonhardt und Sara Murray, Co-Präsidium der Mitte Basel.
OnlineReports: Franz-Xaver Leonhardt, Sara Murray, gibt es die bürgerliche Allianz noch?
Franz-Xaver Leonhardt: Wir haben uns noch nicht mit unseren Allianz-Partnern ausgetauscht – es gab also noch kein Debriefing. Sobald dieses stattgefunden hat, können wir eine Antwort geben.
Sara Murray: Zu einer Allianz kommt es in der Regel vor Wahlen. Diese sind nun bald vorbei, dann steht die Nachbereitung an. Im Hinblick auf die kommenden Wahlen werden wir dann wieder mit unseren Partnern Gespräche führen. Da gibt es also keinen Automatismus.
OnlineReports: Nach dem ersten Wahlgang wartete man vergeblich auf eine gemeinsame Stellungnahme der bürgerlichen Parteien über das weitere Vorgehen. Gab es überhaupt eine Absprache?
Murray: Natürlich sind wir am Wahlsonntag für eine erste Lagebeurteilung zusammengesessen. Alles andere wäre naiv gewesen.
OnlineReports: Von aussen war zumindest keine Strategie erkennbar…
Murray: Wir von der Mitte haben unsere Strategie klar kommuniziert: Tritt Eva Biland im zweiten Wahlgang an, werden wir sie unterstützen. Ansonsten schauen wir parteiintern weiter.
Leonhardt: Innerhalb einer Allianz sollte jemand den strategischen Lead übernehmen. Das ist hier nicht passiert, und das ist das Problem.
Murray: «Von Wortbruch kann nicht die Rede sein»
OnlineReports: Eben.
Leonhardt: Die Verhandlungen über die bürgerliche Allianz hat unsere Vorgängerschaft geführt. Aber wir werden diesen Punkt beim Debriefing einbringen.
Murray: Wir bereuen nicht, der bürgerlichen Allianz beigetreten zu sein. Es war der richtige Entscheid für diese Wahlen. Es war eine gute Zusammenarbeit, es gab keine Probleme, und unsere Parteibasis stand hinter dem Bündnis.
Leonhardt: Für mich war es ein sehr lehrreicher Prozess, weil ich verstanden habe, wie die anderen Parteien ticken.
OnlineReports: Und wie ticken sie?
Leonhardt: Ich werde sicher nicht über «OnlineReports» andere Parteien beurteilen. Genauso masse ich mir nicht an, öffentlich die Kandidatenwahl einer Bündnispartnerin zu kritisieren. Das kann man an einer Sitzung tun. Solche Fauxpas passieren in der Regel in Stress-Situationen. Das meine ich damit, wenn ich sage, man sieht, wie andere Parteien ticken.
OnlineReports: Ihre Bündnispartner haben indes den öffentlichen Weg gewählt und Ihre Partei für den Entscheid, Esther Keller zur Wiederwahl zu empfehlen, in den Medien scharf kritisiert.
Murray: Es gab keine Abmachung für den Fall, dass die bürgerlichen Kandidaturen zurückgezogen werden, und demnach auch keine Abmachung gegen eine Empfehlung für Esther Keller. Wir haben die Parteiversammlung der FDP abgewartet und dann unseren Entscheid gefällt. Von Wortbruch kann nicht die Rede sein. Insofern enttäuschen mich die Reaktionen unserer Bündnispartner sehr.
Leonhardt: Man könnte die Reaktionen auch so interpretieren, dass uns die anderen bürgerlichen Parteien für unseren Mut beneiden. Im Gegensatz zu ihnen beziehen wir klar Position. Früher hat man der Mitte immer vorgeworfen, sie habe kein Profil. Jetzt spürt man uns!
Murray: Am Ende schadet das öffentliche Bashing der bürgerlichen Allianz mehr als unsere Empfehlung für Esther Keller.
OnlineReports: Nach dem Verzicht von SVP und FDP, im zweiten Wahlgang anzutreten, wäre eine gemeinsame Empfehlung für Esther Keller die logische Konsequenz gewesen.
Murray: Vor allem, weil man sie öffentlich bereits als «das kleinere Übel» bezeichnet hat.
Leonhardt: Ich finde diese Bezeichnung marketingtechnisch ganz schlecht. Es geht darum, eine linke Mehrheit in der Regierung zu verhindern. Da wäre es doch cleverer gewesen, zu sagen: Wir unterstützen Esther Keller, weil sie für den Rheintunnel ist.
OnlineReports: Nun könnte die linke Mehrheit mit Anina Ineichen tatsächlich Realität werden. Bei Rot-Grün herrscht grosse Euphorie.
Leonhardt: Die linke Euphorie hat wenig mit der Realität zu tun. Ich bin Unternehmer und führe mit Zahlen. Meine Rechnung, die ich aufgrund der Stimmenverhältnisse gemacht habe, zeigt, dass Esther Keller gewinnen wird.
Murray: Ich glaube nicht wirklich an diese linke Euphorie. Ich bezweifle, dass die Unterstützung für Anina Ineichen von der Basta bis hin zur SP reicht. Sie ist keine SP-Kandidatin, sondern eine Grüne mit teilweise extremen Positionen, die manchem SP-Wähler zu weit gehen. Ausserdem stehen am 24. November neben dem zweiten Wahlgang auch wichtige Vorlagen zur Abstimmung…
OnlineReports: …die wohl besonders links mobilisieren.
Murray: Das glaube ich nicht. Es sind Themen, die auch uns stark mobilisieren. Und gerade der Rheintunnel ist den Bürgerlichen enorm wichtig. Unsere Leute werden also genauso an die Urne gehen wie die linken Stimmbürgerinnen und Stimmbürger – und dann wohl eher Esther Keller wählen.
Leonhardt: Im Zusammenhang mit der Osttangente haben wir in der Uvek (Umwelt-, Verkehrs- und Energiekommission; Anm. d. Red.) über die Lärmschutzmassnahmen beraten und die Anwohnerinnen und Anwohner der betroffenen Quartiere Breite, Gellert und Kleinbasel angehört. Das sind mehrheitlich linke Wählerinnen und Wähler – und die wollen den Rheintunnel.
Leonhardt: «Eigentlich lautet die aktuelle Formel eher 2-2-3»
OnlineReports: Sie haben bei Ihrer Wahl ins Parteipräsidium gesagt, dass Sie in erster Linie die politische Mitte stärken wollen. Insofern dürfte Ihnen Esther Keller ohnehin lieber sein als die Freisinnige Eva Biland, die klar rechts von der Mitte steht.
Leonhardt: Von ihren Positionen her würde Eva Biland als Regierungsrätin wohl tatsächlich nicht unbedingt die politische Mitte stärken …
Murray: … so pauschal würde ich das nicht sagen. Wenn es tatsächlich so wäre, hätten wir von vornherein darauf verzichtet, der bürgerlichen Allianz beizutreten.
OnlineReports: Aber es stand auch eine Allianz zwischen der Mitte und der GLP zur Debatte.
Murray: Es haben keine konkreten Gespräche stattgefunden.
Leonhardt: Die GLP war immer der Meinung, es allein zu schaffen. Das haben Sie auch klar signalisiert. Und sie hätten wegen uns nicht ihre Strategie geändert.
Murray: Ich möchte auch betonen, dass wir eine gute Beziehung zur LDP und zur FDP pflegen. Daran halten wir fest – selbst wenn wir als Präsidium mutig und unabhängig auftreten.
OnlineReports: Ihre Fraktionschefin Andrea Strahm hat in einem Podcast von «bz» und «Radio Basilisk» betont, dass sich die Mitte als Partei in der politischen und nicht in der bürgerlichen Mitte positioniere. Wo genau steht nun die Mitte?
Murray: In der politischen Mitte.
OnlineReports: Gemäss der aktuellen Regierungsformel 3-1-3 ist die Mitte mit ihrem Gesundheitsdirektor Lukas Engelberger aber Teil des bürgerlichen Trios.
Leonhardt: Eigentlich lautet die aktuelle Formel eher 2-2-3.
OnlineReports: Also zusammen mit der GLP in der Mitte.
Murray: Das heisst aber nicht, dass wir nur noch mit der GLP und nicht mehr mit den bürgerlichen Parteien zusammenarbeiten.
Leonhardt: Nein. Aber wir sind offen sowohl gegenüber rechts als auch gegenüber links. Ausserdem steht in unserem Parteiprogramm, dass wir gegen eine Polarisierung sind.
Murray: Was für viele – auch für die Medien – manchmal schwierig zu verstehen ist: Bei uns ist beides möglich – wir können uns im ersten Wahlgang für die Unterstützung des SVP-Kandidaten Stefan Suter aussprechen und im zweiten Wahlgang eine Empfehlung für Esther Keller abgeben.
OnlineReports: Oder anders gesagt: Geht es darum, den Sitz von Lukas Engelberger zu sichern, verbünden Sie sich mit den Bürgerlichen. Ist dieser gesichert, sind Sie offen für andere Allianzen.
Murray: Den Entscheiden ging jeweils eine angeregte Diskussion der Basis voraus, bei der die Ausgangslage beurteilt wurde. Das ist die Stärke unserer Partei.
OnlineReports: Auf eidgenössischer Ebene gab es Annäherungsversuche der Mitte zur GLP.
Murray: Die Medien haben das kolportiert, es stimmt aber nicht. Eine interne Umfrage zur Zukunft der Partei beinhaltete die Frage, ob eine Fusion mit der GLP eine Option wäre. Mehr ist da nicht.
OnlineReports: Wäre eine Fusion für Sie eine Option?
Murray: Ich will es so formulieren: Wenn der Abwärtstrend der GLP anhält und sie es nicht schafft, ihre Stärke zu halten, dann nehmen wir die Leute, die zu uns kommen wollen, gerne auf.
Murray: «Es wäre kein Problem, Grünliberale abzuholen»
OnlineReports: Sind die Unterschiede – konservative Mitte und gesellschaftsliberale GLP – dafür nicht zu gross?
Leonhardt: Unsere Partei hat eine 100 Jahre lange Tradition und ist darin geübt, verschiedene Meinungen zuzulassen. Wir sind eine breite Mitte. Das sieht man zum Beispiel daran, dass sowohl Helen Schai, die links steht, als auch Daniel Albietz mit eher rechten Positionen in der Partei akzeptiert sind.
Murray: Genau. Aus diesem Grund wäre es kein Problem, Grünliberale abzuholen. Bei uns findet jeder – so glaube und hoffe ich zumindest – seinen Platz.
Leonhardt: Wir sind eine nationale Partei mit einer Bundesrätin und starken kantonalen Sektionen. Das ist bei der GLP anders. Seit den vergangenen nationalen Wahlen ist sie nur noch in Bern, Zürich und Basel-Stadt stark.
OnlineReports: In Basel-Stadt sind die Grünliberalen in etwa gleich stark wie die Mitte: je sieben Mandate im Grossen Rat und ein Regierungssitz.
Leonhardt: Das stimmt. Wenn sie jedoch am 24. November ihren Regierungssitz und in drei Jahren ihren Nationalratssitz verlieren würden, sieht es nicht mehr gut aus. Aber Esther Keller schafft es. Ich glaube daran.
OnlineReports: Ist eine gemeinsame Grossrats-Fraktion Mitte-GLP denkbar?
Leonhardt: Solche Gedankenspiele kann man durchaus machen.
Murray: Auf Parlamentsebene ist eine engere Zusammenarbeit sicher sinnvoll. Aber bevor ich mich konkret dazu äussere, müssen wir das zuerst parteiintern diskutieren.
Leonhardt: «Für jemanden wie mich, der gerne gestaltet, wäre das eine tolle Aufgabe»
OnlineReports: Ein Blick in die Zukunft: Wie wollen Sie den Mitte-Regierungssitz verteidigen, wenn Lukas Engelberger nicht mehr antritt?
Leonhardt: Mit Fleiss, Qualität und einer guten Strategie.
OnlineReports: Haben Sie bereits mit den Vorbereitungen begonnen?
Leonhardt: Ja, klar. Wir müssen für alle Fälle vorbereitet sein.
Murray: Wir haben noch nicht mit Lukas Engelberger gesprochen und kennen seine Pläne nicht. Aber ja, wenn es so weit ist, müssen wir parat sein. Wir haben auch bereits Sitzungen, bei denen es um solche Fragen geht, aufgegleist.
Leonhardt: Unser Ziel ist es, immer einen Regierungsrat oder eine Regierungsrätin zu stellen. Und wie erreicht das eine kleine Partei? Mit guten Kandidatinnen und Kandidaten. Regierungswahlen sind Personenwahlen.
Murray: Wir setzen stark auf Personalpolitik. Ich werde Ihnen nun aber keine Namen nennen, die für die Nachfolge von Lukas Engelberger infrage kommen.
Leonhardt: Ich wäre zum Beispiel ein Kandidat (lacht).
OnlineReports: Würde Sie das Amt reizen?
Leonhardt: Klar. Für jemanden wie mich, der gerne gestaltet, wäre das eine tolle Aufgabe. Auf die Frage, ob ich kandidieren würde, erhalten Sie aber keine Antwort. Wir haben eine ganze Reihe geeigneter Kandidatinnen und Kandidaten.
OnlineReports: Vor den kantonalen Gesamterneuerungswahlen steht aber die Ständeratswahl an. Sollen die Bürgerlichen mit Lukas Engelberger den linken Sitz angreifen?
Murray: Ich fände das super.
Leonhardt: Ich habe da eine andere Meinung: Der Ständerat sollte vorher dem Nationalrat angehört haben. Ausser es handelt sich um eine national bekannte Persönlichkeit.
OnlineReports: Was bei Lukas Engelberger der Fall ist. Während Corona war er als Präsident der Schweizerischen Gesundheitsdirektorenkonferenz omnipräsent. Wir stellen aber fest: Er ist für sie nicht gesetzt.
Murray: Auch diese Frage werden wir an einer unserer Strategie-Sitzungen besprechen. Sicher ist, dass eine Kandidatur aus der Mitte gute Chancen hätte, den Sitz zu gewinnen.
OnlineReports: Von Franz-Xaver Leonhardt wissen wir nun, dass er aufs Regierungsamt schielt. Sara Murray, was sind Ihre politischen Ambitionen?
Murray: Ich würde mich gerne im Grossen Rat einbringen und hoffe, bald nachrücken zu können. Aber da ich lange auf nationaler Ebene für die Mitte tätig war, fände ich es natürlich toll, später einmal im Nationalrat mitwirken zu können.
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Hinweis: Dieser Artikel wurde zuerst im Basler Newsportal «OnlineReports» publiziert.