Baselbieter Kinderarzt stirbt unerwartet: Praxen ausgelastet
Sissach 28.07.2024 - 04:23
Eltern haben Mühe, einen Kinderarzt zu finden. Die Situation spitzt sich nach dem plötzlichen Tod des Pädiaters Domenico Rinaldi weiter zu.
Das Wichtigste in Kürze
- Vor Kurzem ist der Gelterkinder Kinderarzt Domenico Rinaldi verstorben.
- Dieser überraschende Todesfall reisst eine Lücke in der Versorgung von Baselland.
- Der entsprechende Basler Fachverband wünscht sich vom Kanton schnellere Berufszulassungen.
Die Praxis von Kinderarzt Domenico Rinaldi in Gelterkinden hätte Anfang dieser Woche wieder öffnen sollen. Doch der Pädiater ist nicht aus seinen Ferien zurückgekehrt.
Er ist am 13. Juli im Alter von 61 Jahren unerwartet gestorben. Seine Familie hat in verschiedenen Zeitungen Todesanzeigen geschaltet. Rinaldi hinterlässt eine Frau und drei Kinder.
Eltern, die ihre Kinder von Rinaldi medizinisch betreuen liessen, sind schockiert und traurig. Der Arzt genoss in fachlicher wie menschlicher Hinsicht einen guten Ruf.
Die Eltern sind aber auch verunsichert. Es war schon vorher schwierig, eine Kinderärztin oder einen Kinderarzt zu finden, die noch Kapazitäten haben. Rinaldi hatte ein grosses Einzugsgebiet, denn weiter östlich im Kanton gibt es keine andere pädiatrische Praxis.
Nun befindet sich der nächste Kinderarzt erst in Sissach. Zwar nehmen auch einzelne Hausärztinnen und Hausärzte Kinder auf, doch sind diese oft nicht gleich gut ausgerüstet. Rinaldi hinterlässt auch aus Sicht der Gesundheitsversorgung eine Lücke.
Kindertagesklinik springt ein
Wer in der Gelterkinder Praxis anruft, wird auf den Telefonbeantworter weitergeleitet. Man versuche gemeinsam mit der Kindertagesklinik in Liestal, den Betrieb neu zu organisieren und aufrechtzuerhalten, heisst es dort. In der Zwischenzeit sei die Kindertagesklinik, die schon die Ferienvertretung übernommen hatte, für Notfälle zuständig.
Ein Geschäftsleitungsmitglied der Kindertagesklinik gibt am Telefon zwar Auskunft, will sich später aber doch nicht zitieren lassen. Die Situation dürfte ausserordentlich sein, und vieles lässt sich heute noch nicht abschätzen.
Druck auf verbleibende Praxen steigt
Die Versorgungslücke könnte auch dazu führen, dass die bereits überlasteten Notfallstationen in den Spitälern nun noch mehr Patientinnen und Patienten empfangen müssen. Das Universitäts-Kinderspital beider Basel hat Ende vergangenen Jahres Security-Personal eingesetzt, um die wartenden und wütenden Eltern unter Kontrolle zu halten.
Es gab Drohungen gegen das Personal. Doch die wenigsten Kinder erscheinen mit dringlichen gesundheitlichen Anliegen, die zwingend einer Spitalversorgung bedürfen. Kommt hinzu: Die Behandlung im Spital ist teurer als in der Kinderarzt-Praxis.
Christian Gürtler führt die Praxis am Bach in Gelterkinden und ist Co-Präsident des Verbands mfe Haus- und Kinderärzt*innen beider Basel. «Der Druck auf die verbleibenden Praxen steigt», sagt er zu «OnlineReports». Auch er werde eine gewisse Anzahl akuter Fälle übernehmen, obwohl er sonst kaum mehr neue Patientinnen und Patienten aufnehmen könne. Aber für Vorsorge-Untersuchungen oder Impfungen reichten seine Ressourcen schlicht nicht mehr aus.
Die Versorgung mit Kinderarzt-Praxen sei im Oberbaselbiet schon seit der Jahrtausendwende schlecht, sagt Gürtler. Damals gingen mehrere Ärzte in Pension – ohne Nachfolge-Lösungen für ihre Praxen.
Das habe auch politische Gründe: Der Beruf sei im Vergleich mit anderen in der Medizinbranche «am wenigsten attraktiv». Vorsorge-Untersuchungen seien schlecht bezahlt. Doch Patientinnen und Patienten gäbe es genug. Die Hoffnungen liegen im neuen Tarifsystem Tardoc, das ab 2026 gelten soll.
Gürtler verweist auf eine Petition von mfe Schweiz, die demnächst 50'000 Unterschriften zählt. Sie fordert mehr Medizinstudienplätze, eine Studienquote von 50 Prozent für Haus- und Kinderarztmedizin und dreimal mehr Praxisassistenzstellen. Diese werden zu einem Teil von der öffentlichen Hand bezahlt.
Gürtler: «Herr Jourdan soll beweisen, dass es zackiger geht»
Der Baselbieter Gesundheitsdirektor Thomi Jourdan hat kürzlich einen Plan vorgestellt, um das Gesundheitswesen im Kanton neu aufzustellen. Er sieht unter anderem dezentrale Ambulatorien vor, die in Zusammenarbeit mit Hausärztinnen und Hausärzten betrieben werden könnten.
Gürtler sagt dazu: «Wir werden sehen, was daraus konkret entsteht.» Der Mediziner mahnt, dass Kinderärzte zuerst auch noch ausgebildet werden müssten – «das dauert zehn bis zwölf Jahre». Hinzu komme, dass jüngere und zukünftige Berufskolleginnen und -kollegen oft nicht mehr 100 Prozent arbeiten wollten.
Gürtler fordert vom Kanton, Berufszulassungen schneller auszustellen: «Herr Jourdan soll beweisen, dass es zackiger geht.» Heute müsse man Monate auf die Bewilligung warten. Diese Frist soll eine Woche betragen, verlangt Gürtler. Sonst würden Ärztinnen und Ärzte, die eine Praxiseröffnung im Baselbiet in Betracht ziehen, möglicherweise vergrault.
VGD nimmt Stellung
Die Volkswirtschafts- und Gesundheitsdirektion (VGD) bestätigt, dass die Versorgungssituation mit Kinderärzten im Oberbaselbiet angespannt sei – «ebenso wie in grossen Teilen der Schweiz».
Doch kurzfristige Unterstützungsmassnahmen sind offenbar keine geplant. Im Kanton Baselland seien Fachrichtungen der medizinischen Grundversorgung von der dreijährigen Tätigkeitspflicht an einer Weiterbildungsstelle ausgenommen, schreibt Sprecherin Elea Klara Werdenberg hierzu. «Dadurch kommt bereits ein erweiterter Kreis von Fachärztinnen und Fachärzten für eine Praxisübernahme infrage.»
Zur Kritik wegen der langen Fristen bei den Berufszulassungen schreibt Werdenberg, dass die Anträge derzeit innerhalb von zwei bis vier Wochen abschliessend bearbeitet würden. Die Anträge könnten dank der digitalen Weiterentwicklung nun einfacher eingereicht werden.
Sorge um Nachfolge
Die Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin Regio Basel wies Ende 2022 insgesamt 55 Kinderärztinnen und -ärzte aus, die in einer Praxis im Baselbiet tätig waren. Elf davon praktizierten in Liestal oder weiter oben im Kanton.
Die Liste beinhaltete auch Rinaldi und eine frühere Praxispartnerin sowie den Bereich für Kinder- und Jugendmedizin in der Klinik Arlesheim, der inzwischen jedoch geschlossen ist.
Gesamtschweizerisch gab es bei der letzten Erhebung im Jahr 2020 insgesamt 1058 Kinderarzt-Vollzeitäquivalente. Eine Studie des Universitären Zentrums für Hausarztmedizin beider Basel und des Verbands mfe ergab, dass sich über die Hälfte der befragten Haus- und Kinderärzte Sorgen um die Nachfolgeregelung macht.
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Hinweis: Dieser Artikel wurde zuerst im Basler Newsportal «OnlineReports» publiziert.